Wie KI den Website-Traffic verschlingt

Googles AI Overviews rauben Websites bis zu 70 Prozent ihrer Besucherzahlen. Für kleine Verlage und Content-Anbieter könnte das existenzbedrohend werden – während Tech-Konzerne die Kontrolle über Information weiter zementieren.

Es war ein Mittwoch im März, der 26., um genau zu sein, als sich das Internet, wie wir es kannten, grundlegend veränderte. An diesem Tag schaltete Google seine “AI Overviews” offiziell in Deutschland frei – jene KI-generierten Antwortblöcke, die Suchanfragen direkt auf der Google-Seite beantworten, ohne dass Nutzer noch auf externe Websites klicken müssen. Was nach einer praktischen Innovation klingt, entpuppt sich für Webseitenbetreiber als digitales Desaster.

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Seit dem Rollout verzeichnen deutsche Websites einen durchschnittlichen Rückgang des organischen Google-Traffics von etwa 18 Prozent. Manche Seiten trifft es härter – Studien dokumentieren Einbrüche von bis zu 70 Prozent. Besonders betroffen sind informationslastige Websites: Glossare, Ratgeber, Nachrichtenseiten. Genau jene Angebote also, die das Rückgrat des freien Internets bilden.

Die neue Unsichtbarkeit

Einfache SEO-Strategien wie Glossare aufbauen werden in Zukunft wenig Traffic bringen. Was jahrelang funktionierte – gute Inhalte erstellen, für Suchmaschinen optimieren, Besucher anziehen – verliert rapide an Wirkung. Denn warum sollte jemand auf einen Link klicken, wenn die KI die Antwort bereits präsentiert?

Mittlerweile beantworten rund 17 Prozent aller Suchanfragen in Deutschland eine AI Overview. In den USA sind es noch mehr. Und die Entwicklung beschleunigt sich: Zwischen Mai 2024 und Mai 2025 stieg der Anteil der sogenannten Zero-Click-Searches – Suchen, die nicht zu einem Klick führen – von 56 auf 69 Prozent. Mehr als zwei Drittel aller Google-Nutzer verlassen die Plattform also gar nicht mehr.

Für Webseitenbetreiber bedeutet das: Weniger Besucher, weniger Werbeeinnahmen, weniger Relevanz. Informations-Websites erleben bereits Trafficrückgänge zwischen 30 und 40 Prozent. Kleine Verlage, die von Werbeeinnahmen abhängen, stehen vor der Frage: Wie lange noch?

Googles Doppelspiel

Die Ironie der Situation ist kaum zu übersehen. Google, das Unternehmen, das einst versprach, das Wissen der Welt zu organisieren und zugänglich zu machen, zentralisiert nun genau dieses Wissen auf der eigenen Plattform. Die Informationen stammen zwar nach wie vor von externen Websites – die AI Overviews zitieren Quellen –, doch die eigentlichen Urheber gehen leer aus.

Eine Mini-Studie zeigt die Dimension: Die Click-Through-Rate innerhalb von AI Overviews liegt bei mageren 19 Prozent auf Mobilgeräten und nur 7,4 Prozent am Desktop. Die meisten Nutzer scrollen noch nicht einmal durch die KI-Antwort hindurch – die mittlere Scrolltiefe beträgt lediglich 30 Prozent.

Es ist, als würde man ein Buch lesen, ohne den Autor zu bezahlen. Oder eine Zeitung konsumieren, ohne sie zu kaufen. Nur dass es diesmal keine Paywalls gibt, die schützen könnten. Die Technologie ist schlicht zu schnell.

Die Verlierer und die Gewinner

Nicht alle trifft es gleich hart. Lokale Unternehmen können aufatmen: Bei lokalen Suchanfragen erscheinen AI Overviews nur in etwa sieben Prozent der Fälle. Auch E-Commerce-Seiten und transaktionsorientierte Angebote bleiben weitgehend verschont – noch. Doch für alle, die von Content leben, von Journalismus, Bildung, Aufklärung, sieht es düster aus.

Prognostiker warnen bereits: In den nächsten 12 Monaten könnte der Traffic-Rückgang auf bis zu 25 Prozent anschwellen. Über einen Zeitraum von drei Jahren drohen Einbußen von über 50 Prozent bei besonders betroffenen Websites. Das ist keine Delle, das ist ein Strukturbruch.

Während Websites ums Überleben kämpfen, florieren die KI-Modelle. OpenAI, Microsoft, Google – sie alle profitieren von den Inhalten, die andere erstellt haben. Das Training ihrer Systeme basiert auf den Texten, Bildern und Daten des offenen Internets. Doch die Wertschöpfung findet nun woanders statt: Nicht mehr bei den Content-Erstellern, sondern bei den Plattformen.

Ein Internet am Wendepunkt

Die Frage ist nicht mehr, ob KI das Internet verändert. Sie tut es bereits. Die Frage ist: Welches Internet wollen wir? Eines, in dem wenige Tech-Giganten den Zugang zu Information kontrollieren? Oder eines, in dem vielfältige Stimmen und unabhängige Anbieter eine Chance haben?

Experten fordern bereits eine Neuausrichtung: “Wenn Sie nicht jetzt damit beginnen, für Large Language Models zu optimieren, könnten Konkurrenten sich in KI-Ergebnissen etablieren und die Mehrheit der verfügbaren Sichtbarkeit und Besuche kapern”, warnt Semrush. Die Message ist klar: Anpassen oder untergehen.

Doch ist das wirklich die Zukunft, die wir wollen? Eine, in der nicht die besten Inhalte gewinnen, sondern die KI-optimiertesten? In der nicht Qualität und Originalität zählen, sondern algorithmische Auffindbarkeit?

Das stille Sterben des Internets hat begonnen. Nicht mit einem Knall, sondern mit einem Algorithmus-Update. Und während die Nutzer ihre Antworten bequemer denn je erhalten, verschwinden im Hintergrund die Quellen, die diese Antworten erst möglich machen. Websites werden unsichtbar. Stimmen verstummen. Und das freie, diverse Internet, wie wir es kannten, verwandelt sich in einen KI-kuratierten Garten – schön anzusehen, aber eingezäunt.

Der 26. März 2025 könnte einmal als Wendepunkt in die Geschichte eingehen. Als der Tag, an dem wir entschieden – oder zuließen –, dass Bequemlichkeit wichtiger ist als Vielfalt. Dass Effizienz mehr zählt als Freiheit. Dass das Internet nicht mehr uns gehört, sondern den Maschinen, die es interpretieren.

 

Die Daten für diesen Artikel stammen aus aktuellen Studien von Semrush, Similarweb, Basis.com und deutschen SEO-Agenturen, die die Auswirkungen von Googles AI Overviews seit dem Deutschland-Rollout im März 2025 beobachten.

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